Depression – Das Schweigen der Männer

Ein Teil der Examensarbeit für den Abschluss am Deutschen Journalistenkolleg

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„Du musst immer weiterkämpfen. Bis die Depressionen unter dir leiden“

Torsten Sträter, deutscher Comedian, Schriftsteller und Kabarettist

Laut offiziellen Studien ist etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann in Deutschland irgendwann im Laufe des Lebens von einer Depression betroffen (https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/was-ist-eine-depression/haeufigkeit). Allerdings wird die Krankheit oft entweder gar nicht oder nur sehr spät erkannt. Gerade Männer haben ein Problem damit, sich eine depressive Erkrankung einzugestehen, denn genau das bedeutet im traditionellen Rollenbild einen Verlust der Männlichkeit und natürlich des gesellschaftlichen Status. Zudem leiden Männer anders als Frauen.

Depression ist aber nicht nur ein Problem, das medizinische, psychologische und soziale Folgen für den Einzelnen hat, sondern auch eine immer größer werdende wirtschaftliche Bedeutung bekommt.  Dabei kann der Prozess der Heilung -persönlich wie volkswirtschaftlich-  nur mit dem ersten Schritt beginnen, der Akzeptanz der Krankheit und ihren Auswirkungen.

Klaus K. ist ein sympathischer Mann Anfang fünfzig, dessen Dialekt angenehm im Ohr liegt. Er macht auf den ersten Blick nicht den Eindruck eines Mannes, der an einer psychischen Erkrankung leidet. Nach Jahrzehnten als Beamter bei der österreichischen Polizei aber nahm er aufgrund seiner depressiven Erkrankung im November 2007 die Möglichkeit wahr, sich in den Ruhestand versetzen zu lassen. Auch für ihn war es anfangs sehr schwer, die eigene Krankheit zu akzeptieren.

“ … das Schwierigste an dem Ganzen ist, dass man es sich selbst eingesteht, vor allem als Mann in einem von Männern dominierten Beruf.” sagt er “Dass etwas mit einem nicht stimmt was man von aussen gar nicht sehen kann. Ich hatte einen lieben Kollegen, der litt an einem Hirntumor. Der war psychisch besser drauf als ich. Er kam jeden Morgen, trotz seiner Diagnose, mit einem Lächeln zum Dienst, während ich es nicht mal schaffte, meine Kaffeetasse abzuwaschen.”

Depression wird bei Männern oft nicht erkannt. Selbst Mediziner haben häufig Schwierigkeiten, eine gezielte Erstdiagnose zu stellen. Das zeigten geschlechtsspezifische Studien zum Diagnoseverhalten vieler Allgemeinärzte (https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/depressionen/article/960406/studie-maenner-erleben-depressionen-anders.ht). Das heisst für den an Depression erkrankten Mann, dass das Risiko einer falschen Diagnose, inklusive der damit einhergehenden Behandlungsmethoden, weitaus höher liegt als bei Frauen. Weiteres Abrutschen in die Krankheit sind die Folge, häufig gefolgt von Alkohol- und Drogenabhängigkeit, kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes mellitus, bis hin zum Suizid. Laut der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes starben 2015 mehr Menschen durch Suizid (10.078) als durch Drogen (1.226), Verkehrsunfälle (3.688) und HIV (371) zusammen – das waren über 27 Personen pro Tag, der überwältigende Teil davon (73,4 Prozent) Männer (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/eckdaten-tu.html).

 Die Anfänge seiner Depression liegen für Klaus K. unter anderem in der eigenen Kindheit. Nach einem schweren Unfall, der zwar körperlich behandelt wurde, dessen psychische Folgen aber von Ärzten wie Eltern ignoriert wurden, kam es zu einer grundlegenden Änderung seines Verhaltens. Er wurde stark übergewichtig, schwermütig und war nicht mehr das lachende Kind, das er vorher gewesen war.

 Als Jugendlicher wurde sein Berufswunsch, Tierarzt zu werden, ignoriert, und K. musste auf Anweisung des autoritären Vaters, eines Gendarmen -dessen eigener Vater schon Gendarm war- die Polizeischule besuchen. Das einzige Ventil war das Spielen eines Instruments in einer Heavy-Metal-Band. Zu keiner Zeit kam es zur Diagnose Depression.

Was einem größeren Verständnis für Betroffene dieser Krankheit im Wege steht, sind die großen Wissenslücken in der Bevölkerung, die es im Zusammenhang mit Depression gibt.

Dr. Christian Sander vom Forschungszentrum Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe führte 2018 die Online-Befragung “Volkskrankheit Depression – So denkt Deutschland” unter 5000 Freiwilligen durch. Herausgekommen sind erstaunliche Einsichten in die Denkweise der Deutschen über diese “Volkskrankheit”.

So sahen fast alle Interviewten Belastungen am Arbeitsplatz (96 Prozent) oder Einsamkeit (96 Prozent) als Hauptursachen der Depression. 56 Prozent machten eine falsche Lebensführung verantwortlich, 30 Prozent schoben es auf die Charakterschwäche der Erkrankten und immerhin noch 25 Prozent sahen falsche Ernährung als eine der Ursachen. Und das, obwohl über 70 Prozent der Befragten angaben, schon einmal selbst depressiv oder mit depressiven Angehörigen/Freunden in Kontakt gewesen zu sein.

Auf die Frage, was ihrer Meinung nach als Hilfe und Mittel gegen Depression in Frage käme, gaben mehr als 90 Prozent der Befragten an, dass der Gang zum Hausarzt oder Psychotherapeuten der beste Weg sei. Allerdings glaubten auch hier, dass in den Urlaub fahren (74 Prozent), sich zusammenreißen (20 Prozent) oder Schokolade essen (18 Prozent) Aussicht auf Erfolg hätten.

“Um Gottes Willen, was soll ich den Bekannten sagen!” waren die ersten Worte der Mutter, als nach monatelangem hin und her zwischen verschiedenen Ärzten ein Psychiater endlich die Diagnose Depression aussprach. K. war nur froh, dass “das Kind endlich einen Namen hatte und ich wusste, was mit mir los war”. Die verschriebenen Antidepressiva begannen zu wirken. Bis auf seine Frau und seinen Bruder begegnete ihm die ganze Familie mit Unverständnis, Unglauben und Hilflosigkeit. Trotzdem war ihm der offene Umgang mit seiner Krankheit von Anfang an wichtig. Auch sein berufliches Umfeld und die Kollegen wurden eingeweiht und unterstützten ihn zum großen Teil, wofür er heute noch dankbar ist.

Laut dem von der Allianz Privaten Krankenversicherungs-AG in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie herausgegebenen Report “Depression – Wie die Krankheit unsere Seele belastet” (https://www.rwi-essen.de/media/content/pages/publikationen/sonstige/Allianz-Report-Depression.pdf), wird “… im Jahr 2030 […] die Depression laut einer Prognose der WHO in den Industrienationen die häufigste Krankheit sein”. Das bedeutet nicht nur zusätzliche Kosten für die Versicherer, sondern auch enormen wirtschaftlichen Schaden durch krankheitsbedingte Ausfälle und “Präsentismus” – dem Erscheinen am Arbeitsplatz trotz Krankheit und der damit einhergehenden verminderten Produktivität.

Deshalb ist es auch für Staat und Firmen äußerst wichtig, dass der Patient zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort und in bester Qualität versorgt wird. Eine weitere Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO kommt zu dem Ergebnis, dass durch Depression und Angststörungen bedingte Fehlzeiten und Produktionsausfälle  die unsere Weltwirtschaft jedes Jahr bis zu einer Billion US-Dollar kosten (https://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(16)30024-4/fulltext). Laut WHO sind fast 10 Prozent der Weltbevölkerung betroffen. Die Studie zeigt aber auch gleichzeitig, dass jeder Dollar, der in die Behandlung von Depression und Ängsten investiert wird, durch bessere Gesundheit und höhere Arbeitsproduktivität zu einer Rendite von vier Dollar führt. Dafür wurden z.B. Therapiekosten in 36 Ländern mit verschiedenen Einkommensschichten, in denen 80 Prozent der Weltbevölkerung leben, bis 2030 errechnet.

Unter dem Strich stehen Kosten für bessere Therapieangebote in Höhe von 147 Milliarden einer Verbesserung der Produktivität in Höhe von zusätzlichen 310 Milliarden US-Dollar gegenüber. Der “Return of Investment” (ROI) kann sogar bis zum 5,7-fachen der eingesetzten finanziellen Mittel reichen. Das macht eine verbesserte Versorgung erkrankter Menschen volkswirtschaftlich rentabel.

Eine Studie der Europäischen Union (EU) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beleuchtet unter anderem die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge im europäischen Raum (https://www.oecd.org/berlin/presse/hohe-kosten-durch-psychische-erkrankungen-in-europa-22112018.htm). Dabei zeigt sich, dass Deutsche im Vergleich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden, was sich in weitaus höheren Ausgaben für Sozialversicherungsprogramme und Behandlungskosten niederschlägt. Und der Anteil psychischer Erkrankungen wächst. Der neu  erschienene Gesundheitsreport der Betriebskrankenkasse BKK (https://www.bkk-dachverband.de/publikationen/bkk-gesundheitsreport.html) spricht schon von fast 17 Prozent der Fälle, in denen Arbeitsunfähigkeit durch psychische Leiden ausgelöst wird. Generell machen, laut Bericht, durch seelische Probleme verursachte Krankheitstage mittlerweile etwa 28 Prozent aus.

Nach dem beruflichen Ausstieg folgte eine Auszeit, nach der K. selbst eine Zeit lang als Betreuer für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen tätig war. Heute lässt er es ruhiger angehen, ist viel draussen in der Natur unterwegs und beschäftigt sich mit den ihm wirklich wichtigen Dingen. Die Zeiten, in denen er dem Stress im Dienst ausgesetzt war, sind vorbei. Achtsamkeit steht an erster Stelle, und die sichert ihm, neben der Unterstützung seiner Frau, ein Leben im emotionalen Normbereich.  Ob er sich vorstellen könne, wieder in irgendeiner Form andere Menschen zu unterstützen? Auf alle Fälle, meint K. Er möchte seine Erfahrungen und Erkenntnisse, die er im Umgang mit seiner Depression gesammelt hat, an andere Menschen weitergeben. Sogar ein Buch hat er nächstes Jahr geplant. Er möchte dabei helfen, das Verständnis für Depressive bei Menschen, Institutionen und Firmen zu wecken.

Zunehmend reagieren eben auch Unternehmen auf die Problematik, gefolgt von der Politik. Beispielsweise testet die Deutsche Bahn ein System aus speziell geschulten Kollegen, “kollegiale Depressionsbegleiter” genannt, die im “Peers at Work”-Projekt als Frühwarnsystem dienen sollen, um Arbeitskollegen vor Ort bei beginnenden Anzeichen einer psychischen Erkrankung zu unterstützen.

Auch die Fraport AG, größter Flughafenbetreiber Deutschlands, hat ein ähnliches Programm zur Prävention. Dazu Sven Schabos, Senior Manager Passenger Services am Flughafen Frankfurt: “Wir haben drei gut ausgebildete Psychologen aus verschiedenen Fachgebieten im Haus, die sich um die Belange der Mitarbeiter kümmern. Außerdem bieten wir im Rahmen der Arbeitsmedizin in Zusammenarbeit mit den Psychologen das Seminar “Führen psychisch belasteter Mitarbeiter” an, das sich an alle unsere Führungskräfte richtet. Dazu führen wir regelmäßig die “Erhebung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz durch”, deren Ergebnisse in einem Maßnahmenkatalog und in Zusammenarbeit mit unseren Mitarbeitern umgesetzt wird.”

Mittlerweile wird von vielen Seiten immer deutlicher erkannt, dass etwas gegen den Vormarsch psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung getan werden muss. Mehr und mehr Firmen erkennen, dass nur gesunde Menschen auch gesunde Arbeitnehmer sein können, und bieten deshalb immer mehr Programme und Präventivmaßnahmen an.

Denn grundsätzlich gilt: Depression ist heilbar, und je eher man sie erkennt, desto höher sind die Heilungschancen. Deshalb sollten gerade depressive Männer Hilfe frühzeitig in Anspruch und ihre eigenen Erkrankung ernst nehmen.

Über Thilo Heffen 3 Artikel
"Thilo Heffen ist Journalist und Blogger. Neben der Arbeit für verschiedene Zeitungen und Magazine betreibt er die Seite EXIMUM, die sich an Männer 35+ richtet und auf der er und ein Team aus Autoren interessante Themen aus allen Bereichen des Männerlebens aufgreifen.

Er steht offen zu seiner depressiven Erkrankung und seinem Übergewicht, der Sucht nach gutem Espresso (Am liebsten traditionell zubereitet - Mit Kocher und Zeit) und möchte unbedingt einmal in seinem Leben von der Ladekante einer Lockheed C-130 ins Wolkenmeer springen. Mit Fallschirm natürlich..."
www.eximum.de

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