Ältester sein – Teil 2

Mein Selbstverständnis als bewusst älter werdender Mann.

Hier kannst du Teil 1 lesen ->
Hier kannst du Teil 3 lesen ->
Hier kannst du Teil 4 lesen ->

Bewusstes Älterwerden als inneres Wachsen

Wie gesagt: Älterwerden ist eine ganz natürliche Sache, unabhängig von allen sozial-kulturellen Sollensvorschriften unserer immer noch männer-dominierten Gesellschaft – auch wenn der Kanzler eine Frau ist.

Solche sozial-kulturellen Sollensvorschriften bilden den ideologischen Klebstoff jeder Herrschafts-Gesellschaft – wie demokratisiert ihr Zustand auch entwickelt sein mag. Solche Vorschriften dienen bis heute der Selbstoptimierung des einzelnen Mannes als funktionierende Systemgröße und somit der Stabilisierung des Gesellschaftsganzen.

Um deutlich zu machen, wie sehr unser Verstricktsein als Männer in dieses Gesellschaftsganze uns daran hindert, innerlich zu wachsen, muss ich an dieser Stelle einen Moment in meine eigene Sozialisation als Mann zurück blicken.

Ich habe in den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts noch gelernt: „Jeder Stoß, ein Franzos, jeder Schuss, ein Russ!“ Was die Nazis für jene Männer, die mir als Junge Vorbild sein sollten, nur überzeichnet haben („Flink wie die Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Krupp-Stahl!“), hatte sich über Generationen längst in die kollektive Männerpsyche eingegraben gehabt. Wenn es um das von mir als Junge zu erlernende Selbstverständnis, ein Mann zu sein, ging, erhielt ich von Männern und Frauen in meiner Familie folgende Botschaften, die ich an ihrem alltäglichen Umgang miteinander ablesen konnte:

Männer sind dann Männer, wenn sie schnell analysieren und entscheiden können, was sie tun müssen; wenn sie Schmerz, Frustration und Scheitern aushalten, verdrängen oder abspalten können; Männer sind dann Männer, wenn sie sich über ihre Gefühle erheben und sie negieren können, ohne dass jemand das mitbekommt; Männer sind deshalb dann auch richtige Männer, weil sie hart sein können, vor allem: gegen sich selbst.

In der wechselhaften Geschichte unserer heutigen Gesellschaft mussten unzählige Männer, bis in die Nachkriegszeit hinein, sich den Erfolgsideen ihres sozialen Milieus unterwerfen – selbst der so genannte einfache Arbeiter.

Das war eine effektive Anpassungsübung, sich mit viel weiter reichenden politischen Ideen der Nation oder einer wie auch immer disponierten politischen Bewegung zu identifizieren.

Solches Sich-Identifizieren mit Herrschaft (in Familie, sozialen Gruppen, Parteien bis hinauf in den Staatsapparat) geht immer zu Lasten der Persönlichkeitsentfaltung eines Mannes. Dies führt – bei epidemischer Ausbreitung – ins genaue Gegenteil dessen, was wir Deutschen uns nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Völkermord an unseren jüdischen Mitbürgern vorgenommen hatten:

Demokratie zu entwickeln und für jeden Menschen, ob Mann oder Frau, ob Einheimischer oder Fremder, ob reicher oder Armer langfristig zu entwickeln und zu bewahren;

Demokratie als Fähigkeit zu konstruktivem Interessenausgleich, zu produktiven Kompromissen, zu erlernen;

Demokratie als gelebte Humanität in den Alltag hinein zu entfalten;

Und schließlich:
Demokratie als gelebte Verantwortung für die Entwicklung eines  biosphärisch empathischen Gesellschaftssystems, das die objektiven Grenzen der Verwertung unserer planetaren Lebensgrundlagen anerkennt und respektiert.

Damit habe ich den Hintergrund ausgebreitet, vor dem sich ein Mann heute verstehen können sollte, ja müsste. Vor allem, wenn er sich als einen lebendigen Teil der Erde versteht und sich des problematischen inneren Zusammenhangs bewusst ist, der zwischen der Art und Weise, wie wir leben, und dem katastrophalen Zustand des Planeten wie der prekären geopolitischen Lage der Menschheit besteht.

Was hat das alles mit innerem Wachsen zu tun, mit innerem Wachsen eines Mannes in seinem 74. Lebensjahr, der sich als einen Ältesten versteht?

Kurz gesagt: Mein inneres Wachsen, hin zu einem Ältesten, kann ich als eine andauernde wie unabschließbare Transformation meiner Persönlichkeit beschreiben:

Als einen Wandel meiner desintegrierten Persönlichkeit als der Mann, der gelernt hatte, zu funktionieren, hin zu einer integrierten Persönlichkeit als der Mann, der ich immer schon sein wollte.

Dieses aktive innere Wachsen und Wandeln meiner Männlichkeit hatte mit meiner Initiation vor bald 20 Jahren begonnen und hält seit dem konstant an.

Inneres Wachsen erfordert Mut, Entschlossenheit und Kraft, Ausdauer und Zuversicht. Seine Quelle ist meine Liebe zu mir selbst, zu denen, mit denen ich mein Leben teile, zu meinem eigenen Leben wie zu allem, was lebt und zum Leben des Organismus Erde, dem ich angehöre.

Inneres Wachsen ist die Arbeit des „Neuen Kriegers“ – eines ins Leben initiierten Mannes, der durch seine „inneren Kriege“, die er mit sich selbst führt, mit dazu beiträgt, dass die Kriege im Außen irgendwann überflüssig werden – die eigenen Kriege im Kleinen wie die großen der Mächtigen, die nur Leid und Elend in die Welt tragen.

Vielleicht wird an dieser Stelle bereits klarer, wie sehr eine echte, weil von innen her gewachsene Verantwortung für den Wandel der politischen und ökologischen Verfassung der Welt, davon abhängt, ob ich bereit bin, meine zerspaltene, desintegrierte Männlichkeit in eine integrierte, klare, weil authentische Männlichkeit zu wandeln – und das bis ins hohe Alter.

Das nächste Mal möchte ich ein paar Beispiele bringen, wie inneres Wachsen als älter werdender Mann möglich ist. Dabei wird es um Inhalte gehen wie Spiritualität, Weisheit und um die archetypischen Lebensenergien des Mannes. Es geht dann um:

Inneres Wachsen als Sinn des Weges zum Ältesten

Mit kraftvollen Grüßen von Mann zu Mann,

Euer Hans Raimund Aurer

Certified Ritual Elder des Mankind-Projects International

Hier kannst du Teil 1 lesen ->
Hier kannst du Teil 3 lesen ->
Hier kannst du Teil 4 lesen ->

Über Hans Aurer 4 Artikel
Dr. Hans Raimund Aurer, geb.1945 in Mannheim; Studium der Visuellen Kommunikation, der Kunstpädagogik, Kunstgeschichte ,Politischen Ökonomie und Philosophie; Promotion bei Prof. Gert Selle und Prof. Rudolf zur Lippe; Arbeitsgebiete: Sympoietische Bildung, Integrative Pädagogik und Psychologie. Bis 2009 Lehrtätigkeit an Gymnasien in Kunst, Arbeitslehre und Philosophie sowie in der Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung an den Universitäten Flensburg und Bremen; außerschulische Ästhetische und Politische Bildung an Bildungsstätten im In- und Ausland.

Lebt und arbeitet in Freiburg i.B. und in Paleochora auf Kreta als freier Autor und Maler.

Seit 2000 Mitarbeit im ManKindProject International - seit 2015 Zertifizierter Ritual Ältester.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*