Wer sich ändern will, braucht Ausdauer

Michael Sudahl über die Tücken der Selbstarbeit.

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Coachings und Ratgeberliteratur gibt es wie Sand am Meer.
Doch durch lesen und zuhören verändern wir uns nicht. Die Neuroforschung belegt: Veränderung geht über das Unbewusste.

Mit Mitte Dreißig hatte ich einiges gelesen: Ratgeberbücher zum Vereinfachen des Lebens. Experten-Artikel, die mir mit zehn Tipps versprechen, wie ich effizienter arbeite. Oder wie ich mit ein paar Tricks meine Ehe kitte. Motiviert von den tollen Stories der Schreiber, setzte ich mich in deren Seminare. Hörte zu, wie Macher besser verhandeln und sah ein, dass Ehe und Beziehung harte Arbeit sind.

Geholfen hat mir das alles wenig. Die Gründe dafür, wieso Vorträge oder Ratgeberbücher nichts taugen, sind inzwischen neurobiologisch belegt. Denn mit Trainings und Texten erreichten mich Trainer und Tutoren maximal auf der bewusstseinsfähigen, kognitiv-sprachlichen Ebene. Hirnforscher Gerhard Roth nennt sie die vierte von vier Ebenen, die die Entwicklung unserer Psyche bestimmen.

Einsicht führt nicht zu Handlung
Nach dem Roth-Modell müssen die limbischen Ebenen im Gehirn aktiviert werden, damit sich Verhalten und Haltung verändern. Die kognitiv-sprachliche Ebene bildet die Grundlage unserer Intelligenz. Auf ihr verstehen und sehen wir ein. Sie ermöglicht es uns, zu planen und uns dem Umfeld angemessen zu verhalten. Wer jedoch sein Verhalten ändern möchte, muss die intuitiven und unbewusst ablaufenden Prozesse auf den limbischen Ebenen ansprechen.

Abweichungen zwischen diesen Ebenen führen zu Opportunismus oder wir verstellen uns, verdeutlicht Roth: Einsicht führt nicht zum Handeln. Das Lesen eines Ratgebers bewirkt nichts, weil die emotionale Anbindung fehlt. Wir erleben nicht, was der Autor rät. Ein kurzer Blick auf die drei limbischen Ebenen erklärt den Zusammenhang. Die untere limbische Ebene steuert elementare Verhaltensweisen und Gefühle. Die Zustände sind genetisch und vorgeburtlich geprägt und laufen unbewusst ab. Hier wird das Temperament festgelegt, mit dem wir geboren werden.

In der ersten Zeit nach der Geburt reift die mittlere limbische Ebene – die Ebene emotionaler Prägungen. Ereignisse werden mit den vier Grundgefühlen Freude, Angst, Trauer und Wut verknüpft. Unser Selbstbild entsteht. Wir entwickeln Mitgefühl. Diese und die erste Ebene bilden den Kern unseres Wesens. Die obere limbische Ebene speichert bewusste Antriebe und Erfahrungen. Hier entwickeln sich Impulshemmer. Wir lernen, Risiken zu erkennen und zu bewerten. Moral sowie Belohnungs- und Bestrafungssysteme sind hier beheimatet. Bis etwa zum 20. Lebensjahr passen wir uns an, orientieren uns dabei am Spiel innerhalb der Gesellschaft.

Wer nun an seinem Verhalten und Handeln etwas Tiefschürfendes verändern möchte und nicht das Gefühl haben will, sich verbiegen zu müssen, der muss neben der kognitiven die limbischen Ebenen ansprechen. Neben dem Verstand das Gefühl.

Wann Überzeugungen zu Handlungen führen

  • Gewinn
    Ohne einen erkennbaren, individuellen, hohen und relativ sicheren Gewinn, ändert kein Mensch sein gewohntes Verhalten. Dieser Gewinn muss und sollte nicht nur materiell sein. Materielle Belohnungen wirken schnell und sättigen schnell. Sozialer Gewinn (zum Beispiel Anerkennung) wirkt nachhaltiger. Die einzige nicht sättigende Belohnung ist die intrinsische, die man sich selbst gibt.
  • Umsetzung
    Ins Blaue hinein ändern wir unser Leben nicht gern. Die Umsetzung der Neuerung muss daher klar vorgezeichnet und praktikabel sein.
  • Vorbilder
    Pioniere können und wollen nur die wenigsten Menschen sein. Die meisten anderen brauchen Vorbilder, denen sie nacheifern können. Und die müssen vor allem glaubwürdig sein.
  • Hindernisse
    Die erwartbaren Widerstände gegen das neue Leben sollten nicht zu groß sein. Das Festhalten an Gewohntem trägt eine starke Belohnung in sich. Der Anreiz muss doppelt so stark sein, wie die Bremskräfte.

So wissen zwar etliche Chefs theoretisch, wie delegieren geht. Sie können es aber nicht, weil sie Angst haben, sich unbeliebt zu machen. Ihnen kann ein Coach nicht helfen, wenn er Tipps auf der Verhaltensebene gibt. Würde der Manager nach seiner Angst gefragt, wäre sie ihm vermutlich unklar. Denn Angst ist oft unbewusst. „Schatten“ nennt das die analytische Psychologie nach Carl Gustav Jung. In ihm schlummern die Seelenanteile, die wir verleugnen, nicht wahr haben wollen – oder die uns schlicht unbewusst sind.

Ohne üben wird es nichts
Wer sich dieser Anteile bewusst wird, kann anfangen umzulernen und neue Arten des Fühlens, Denkens und Handelns einüben. Diese Prozesse hat die Neurologie gründlich erforscht. Ansätze für das Üben gibt es etliche. Coachs und Therapeuten verfügen je nach Ausbildung über einen ganzen Baukasten an Werkzeugen, die helfen, ins Gefühl zu kommen. Der Perspektivwechsel etwa ermöglicht die Denk- und Sichtweise sowie das Gefühl eines anderen zu erleben. Angesprochen werden in diesem Setting die kognitiv-sprachliche Ebene sowie die bewusste obere limbische Ebene. Gleiches gilt für Entscheidungs- und Loslass-Prozesse. Sie können beispielsweise helfen, eine Scheidung besser zu verarbeiten oder ein gescheiteter Gründer kann dadurch die insolvente Firma gelassener verabschieden.

Daran erkennen Sie einen guten Coach

  • Coach setzt klaren Zeitrahmen
    Das Coaching soll vom Volumen her überschaubar sein. “Never-Ending-Stories” sollen vermieden werden auch, um Abhängigkeitsverhältnissen vorzubeugen.
  • Coach prüft, ob die Maßnahme überhaupt sinnvoll ist
    Ein guter Coach prüft, ob Coaching für seinen Adressaten überhaupt die richtige Maßnahme ist. Das Interesse des Auftraggebers (also der Oraganisation oder des Unternehmens) muss sich mit den Interessen des Coachees nicht decken. Ein guter Coach muss aber die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen.
  • Der Coach sagt auch “nein”
    Ein guter Coach lehnt Aufträge ab, wenn sie nicht seinen Kompetenzen entsprechen oder sich nicht mit seinen Schwerpunktthemen befassen. Damit gemeinsam definierte Ziele erreicht werden können, muss die Leistungserwartung des Klienten und das Leistungsvermögen des Coaches einander entsprechen.
  • Coach spricht über seine Methoden
    Ein guter Coach benennt die einzelnen Prozessphasen explizit und stellt in Grundzügen sein methodisches und konzeptionelles Vorgehen dar. Der Auftraggeber soll genau überblicken können, worauf er sich einlässt.
  • Coach lässt Zeit zum Nachdenken
    Die Entscheidung für ein Coaching soll der Klient bewusst und ohne Druck treffen – deshalb gibt ein guter Coach dem Klienten nach dem Kennenlerngespräch Bedenkzeit.
  • Coach erkennt seine Grenzen
    Ein guter Coach erkennt Themen und Umstände, die zusätzlicher Beratung bedürfen und leitet diese ein. Dabei kann es sich zum Beispiel um eine Therapie, Eheberatung oder medizinische Behandlung handeln.

Quelle:
Deutscher Bundesverband Coaching e.V. (Hrsg.): Checkliste für Auftraggeber und Klienten. Vorgelegt vom Fachausschuss Mittelstand. Osnabrück: 2010.

Tiefer – also in die nicht erinnerungsfähige mittlere sowie die unbewusste untere limbische Ebene – greifen Problemlösungs-Prozesse ein, wie das Üben neuer Verhaltensweisen. Doch dieser Weg ist lang und mühsam. Denn „die Amygdala vergisst nichts“, verdeutlicht Hirnforscher Roth. In unserem paarigen Angstzentrum im Gehirn können wir nichts löschen. Alte Erfahrungen werden vielmehr eingekapselt oder überschrieben. Sie brechen hervor, wenn wir hart kritisiert werden oder unter Stress geraten.

Wer hier ran will, muss üben, üben und nochmals üben. Immerhin wird man dafür belohnt. Das körpereigene Glückshormon Dopamin begleitet das emotionale Erfahren von Problemen. Wer einmal damit anfängt, schwierige Situationen aus seinem Leben nochmals zu beleuchten und zu erleben, kann Spaß daran gewinnen, weil er sie nun anders interpretieren, umdeuten und gestalten kann.

Die Ohnmacht ist weg.

Über Michael Sudahl 4 Artikel
Michael Sudahl ist gelernte Banker und Journalist. Er beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Kommunikation und Wahrhaftigkeit.

Er berät Firmen und Organistionen in internen und externen Kommunikationsfragen, erstellt Magazin, schreibt Fachartikel und moderiert Prozesse rund um Strategie, öffentliche Wahrnehmung und Unternehmenskultur.

Außerdem arbeitet er als Bartmodel!

2 Kommentare

  1. Lieber Burkhard,
    keiner hat gesagt, dass es einfach ist 😉
    Aber leicht kann es trotzdem sein. Es gibt wie im Artikel geschildert viele Wege, um dir unbewusste Verhaltensmuster bewusst zu machen – und es in Übungen in neue Verhaltensweisen zu transformieren. Ich persönlich habe meinen Weg bei http://www.mkp-deutschland.de gestartet. Aktuell absolviere ich eine Ausbildung zum Körpertherapeuten (bio-dynamisches Cranio-Modell). Ein guter Freund ist Gestalttherapeut und verändert sein Tun über die Sprache. Vielleicht magst du mich anrufen: 0170 9494220, um ausführlich zu reden.

  2. Das ist mir ehrlich gesagt zu theoretisch. Das mit den unterschiedlichen Schichten des Gehirns habe ich leider nicht verstanden.
    Gibt es ein Beispiel, an dem das einfacher zu verstehen ist?
    Und gibt es Übungen oder Tipps, wie ich das im Rahmen meiner Analytischen Therapie Erkannte doch noch erlernen und umsetzen kann?
    Viele Grüße,
    Burkhard

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