Mein Weg vom Selbsthass zur Selbstliebe

Eine sehr persönliche Schilderung von Leonard Fromm

Foto: privat | Leonard Fromm

Nach meiner zweiten Scheidung 2009 will ich nur noch sterben. Weil ich für die Selbsttötung aber zu feig bin, steigt mein Hass auf mich und meine Unfähigkeit – und auf die Mutter meiner Tochter, die bereits Wochen nach meinem Hinauswurf den nächsten Mann „am Start“ hat. Was mich in dieser Zeit am Leben hält, sind meine vermeintlichen Pflichten in meiner Selbstständigkeit und die Wertschätzung, die ich aus meiner Arbeit bekomme.

Nachts aber, wenn es nichts zu tun gibt, zerfressen mich Einsamkeit, Verzweiflung und Selbsthass beinahe. Oft sitze ich nach nur drei Stunden Schlaf schon um 5 Uhr in der Agentur wieder am PC. In diesen Monaten bin ich erstaunlich produktiv, aber auch zynisch, leicht reizbar und verbittert. Deshalb wird auch der Kontakt zu meiner damals zehnjährigen Tochter, die ich über alles liebe, immer seltener. Über Nacht beim Papa bleiben, der so Hass-erfüllt über die Mama redet, will sie schon gar nicht.

Nur meine Schwester erreicht mich
Nur meine Schwester Angela erreicht mich in dieser Phase tiefster Selbstzweifel und massivsten Selbstmitleids, in dem sie mir von Wochenenden in christlichen Bildungshäusern erzählt, an denen man heilende Selbsterfahrungen machen kann. Und weil ich im Privaten – ich fühle mich schließlich wertlos – so antriebsschwach bin, meldet sie uns beide für ein solches Wochenende in Würzburg an und geht mit.

Die Trainerin strahlt so viel Wärme und Liebe aus, dass ich jedes ihrer Worte aufsauge. „Wer ständig gibt, wird leer und brennt aus“, ist so ein Satz, der mich im Herzen trifft. Außerdem singen wir, tanzen meditativ und machen Körperübungen, bei denen wir uns gegenseitig berühren und massieren. Nach mehr als 20 Jahren werden wieder meine Sinne stimuliert und nicht nur mein Kopf.

Das Gehörte relativiert meinen Hader
Unter den vielen Frauen und wenigen Männern merke ich schnell, dass ich für diese interessant bin. Das tut mir ebenso gut wie das Leid, das ich von anderen höre: Ein Kind ist gestorben, der Ehemann war gewalttätig, eine Frau hat die Diagnose einer tödlichen Krankheit. Das Gehörte relativiert meinen Hader über mein Schicksal, dass nun mal zwei Frauen, mit denen ich immerhin je ein gesundes Kind habe, sich von mir wieder getrennt haben und deshalb auch meine Kinder nicht bei mir leben.

Die Trainerin, die mir an diesem Wochenende so gut getan hat und die mich mit meinen markanten Positionen als Bereicherung für ihre Gruppe erlebt hat, will ich wiedersehen. Und weil sie wenige Wochen später eine zweijährige Ausbildung zum Gestaltpädagogen anbietet, melde ich mich hierfür an. Die neuen (Freizeit-)Termine, die wochenweise in den Ferien stattfinden, bringen Abwechslung in meinen von Arbeit und Hader geprägten Alltag, den ich als trost- und sinnlos empfinde.

Souveräne Männlichkeit spricht mich an
Zwar besteht der 32-köpfige Kurs zu 80 Prozent aus Frauen, doch mit Robert Michor ist auch ein Psychotherapeut in der Kursleitung, der mich mit seiner souveränen Männlichkeit sehr anspricht. Diese zweijährige Ausbildung gewährt mir nicht nur tiefe Einblicke in meine Deformationen, sondern ich lerne auch endlich Frauen oder das Weibliche an sich in all seiner Vielschichtigkeit kennen. Mir wird klar, wie ich in Projektionen und Mustern gelebt hatte und woher diese kommen, nämlich aus meinem Elternhaus, meiner strengen katholischen Erziehung und meiner Angst vor dem Weiblichen.

In der Gruppe eigne ich mich für die Frauen als Projektionsfläche. Obwohl ich selbst oft psychisch schwach und erschöpft an den Seminarwochen teilnehme, bekomme ich in den Aufstellungsarbeiten der Frauen die übelsten Rollen: Der gewalttätige Ehemann; der Vater, der die Tochter missbraucht oder wenigstens der cholerische Vorgesetzte am Arbeitsplatz.

Gefühle verwechsle ich mit Ansichten
Und wenn ich über meine Gefühle rede – was ich erst lernen muss, denn anfangs rede ich über meine Ansichten – ernte ich oft Kopfschütteln und Ablehnung, die ich daran spüre, dass keine Frau eine Kleingruppe mit mir bilden oder bei den Mahlzeiten neben mir sitzen will. „Leo, ich sehe Dich“, sagt Robert immer wieder in den Pausen zu mir und nimmt mir damit 17 Zentner Schmerz und Wut vom Herzen.

Nach den zwei Jahren und der Abschluß-Arbeit sind es zwei Frauen aus meinem Kurs, die mir wichtig geworden waren, die mich nahezu drängen, mit Ihnen am Teskulon-Institut nun eine vierjährige Ausbildung zum Gestalttherapeuten anzuschließen. Sie mögen mich und auch dort würde ich den Männeranteil auf über 20 Prozent heben. Schließlich willige ich ein, allein schon, um über die monatlichen Seminartage weiter in meinem Veränderungsprozess zu bleiben.

Training sickert allmählich in mich ein
Denn ich merke, wie dieses kontinuierliche Persönlichkeits- und Selbsterfahrungstraining ganz allmählich in mich einsickert und meine Instinkte erreicht. So muss ich bei Unsicherheit nicht mehr zwangsläufig angreifen; bei Unbekanntem abwerten oder bei Neuem (unqualifiziert) urteilen. Mehr noch: Ich komme meinen Mustern auf die Schliche, besser: Mein Trainer.

Eines Tages erklärt der Gestalttherapeut dem Plenum: „Der Leo ist in seinem Leben schon so oft verletzt worden, dass er als Selbstschutz abgespeichert hat, sich scheiße zu verhalten. Denn dann ist Ablehnung normal.“ Ich sei so gestrickt, dass ich andere durch mein Verhalten erst verunsichere, um mir dann derer sicherer sein zu können, die sich davon nicht abschrecken lassen. Und er ergänzt: Das sei ein ziemlich aufwändiges Muster. Aber offenbar liebte ich es „schwierig“.

Mein Leben war ziemlich mühselig
Heute weiß ich, dass das Teil einer „paradoxen Intervention“ war, mit denen ich auch gerne arbeite. Damals beschließe ich, mich ab sofort nicht mehr „scheiße verhalten zu wollen.“ Das heißt etwa, andere nicht zu unterbrechen oder deren Aussagen zu kommentieren. Früher hatte ich mich damit „wichtig“ und „sichtbar“ gemacht. Seit meiner Biographie-Arbeit weiß ich auch warum: Das Leben als ungeplantes, fünftes Kind über 40-jähriger Eltern einer unglücklichen Ehe war ziemlich mühselig.

Während ich bereits die gestalttherapeutische Ausbildung mache, werde ich 2013 auf die internationale Männerbewegung MKP aufmerksam und besuche in jenem Herbst in der französischsprachigen Schweiz ein sogenanntes Initiationswochenende. Diese 48 Stunden beeindrucken mich tief. Nicht zuletzt, weil das Meiste auf Französisch läuft, dessen ich nicht mehr so mächtig bin wie einst als Abiturient. Entscheidend für mich ist aber nicht, was die Männer sagen, sondern wie sehr sie ihren Schmerz beweinen. Es ist doch egal, ob der Vater oder der Onkel einem Mann Gewalt angetan hatte – entscheidend ist das Trauma, das diesen Mann seither in seinen Möglichkeiten blockiert hatte.

Innere Aussöhnung mit meinen Ex-Frauen
Ich verstehe dort, dass ich mich nochmals existenziell mit meinem schwachen Vater und meiner dominanten Mutter auseinandersetzen muss, die mir zu dieser Zeit nur noch lästig waren. In meiner Ausbildung zum Gestalttherapeuten wird hierfür in den folgenden Jahren noch Zeit sein. An dem MKP-Wochenende mündet meine sogenannte Teppich-Arbeit in eine erste Aussöhnung mit meinen Ex-Frauen, die ich ebenso um Verzeihung bitte wie meine Kinder, für das, was ich ihnen angetan oder an Liebe nicht hatte geben können.

Immer deutlicher spüre ich in der Folgezeit, wie mein Speicher aus Eis und Verbitterung zum Energiespeicher transformiert, der voller warmer Gefühle und Liebe ist. Und wie ich spüre, dass ich auf die Gnade meiner Kinder angewiesen bin, dass sie mir verzeihen, so kann ich nun meinen Eltern vergeben, was sie mir nicht gegeben oder falsch eingepflanzt hatten.

Nie mehr „ich will nur Dein Bestes“
Denn wie ich nur aus Unvermögen der unzulängliche Vater und Ehemann war, der ich war, so hatten meine Eltern nicht mit Absicht schlecht an mir gehandelt. Und als deformierte Kriegsgeneration einer konformierten Nachkriegsgesellschaft hatten sie auch kaum die Möglichkeit, ihr Verhalten später kritisch zu reflektieren, wie ich es nach 2009 intensiv und dauerhaft tue. Sätze wie „ich will nur Dein Bestes“ kommen mir heute nicht mehr über die Lippen.

Je mehr ich meine Eltern (und Geschwister) annehmen kann, desto versöhnter werde ich mit ihnen und dankbarer für das, was sie mir gegeben haben: Vom Vater etwa die robuste Natur und das große Herz; von der Mutter dieser unbändige Wille zum Gestalten und die Fähigkeit, sich und andere für große Ziele zu motivieren. Mit der Achtsamkeit, dass jedes Licht auch Schatten wirft, arbeite ich seit 2015 mit Gruppen und Einzelpersonen therapeutisch.

2017 erstmals offene Trainings
Mit dem Abschluss meiner gestalttherapeutischen Ausbildung im September 2016 samt einer schriftlichen und mündlichen Prüfung zeige ich mich zunehmend öffentlich und aktiv mit diesem Profil. 2017 biete ich erstmals mit zwei erfahrenen Trainern (Chuck LeMonds und Robert Michor) auf der Ostalb drei Wochenenden an. Denn als PR-Berater und Gründer einer aktuell achtköpfigen Kommunikationsagentur genieße ich seit vielen Jahren das Vertrauen vieler Unternehmer und ihrer Mitarbeiter.

Bei diesem Vertrauen und dem Wissen um meine erweiterten Ressourcen setze ich nun zunehmend an, auch Führungskräfte und Teams in ihrer Veränderung und Entwicklung zu unterstützen. Im Einzel wie in Gruppen. Denn, so meine Erfahrung, jeder kann sich nur selbst aus seinen engen Mustern befreien und in seine Virtuosität und Exzellenz kommen. Dann ist mir auch um die Zukunft unserer Welt nicht bange. Jeder und jede kann im Hier und Jetzt beginnen – mit dem ersten Schritt.

Über Leonard Fromm 5 Artikel
Leonhard Fromm (Jg. 1963) wächst als jüngstes von fünf Geschwistern katholisch geprägt auf. Nach dem Theologie-Studium wird der ehrenamtliche Jugendarbeiter aber nicht katholischer Priester, sondern Wirtschaftsredakteur. Dreimal wechselt der zweifache Vater die Zeitung, ehe er sich 2001 in Göppingen als Kommunikationsberater selbstständig macht. Seine zweite Scheidung reißt dem Familienmenschen 2009 den Boden unter den Füßen weg.

Statt Suizid, zu dem er zu feig ist, macht Fromm eine zweijährige gestaltpädagogische Ausbildung, an die er eine vierjährige gestalttherapeutische Ausbildung anschließt, um kontinuierlich in seine Veränderung zu kommen und in seinen Handlungsweisen virtuoser zu werden. 2013 absolviert der in dritter Ehe in Schorndorf Verheiratete, dessen Agentur mittlerweile mit acht Mitarbeitern bundesweit für Markt- und Technologieführer arbeitet, bei MKP ein Initiationswochenende und engagiert sich seither ehrenamtlich in der Männerarbeit.

Längst verbindet der Journalist (Kommunikation nach draußen) und Gestalttherapeut (Kommunikation nach innen) beide Kompetenzen in seiner täglichen Arbeit, in dem er für seine Kunden auch Trainings anbietet und Führungskräfte und Klienten im Einzel unterstützt. Hinzu kommen offene Männer-Seminare in Kooperation mit bewährten Trainern. Seine Mission: Leben in Wahrhaftigkeit und Krisen als Chance nutzen.
www.der-medienberater.de

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese Offenheit und Ehrlichkeit. Deine Schilderung hat mich sehr bewegt und wirkt noch nach (z.B. Impuls, mal wieder an einem Männerseminar teilzunehmen). Besonders gefreut hat mich deine veränderte Sicht auf das Erziehungsverhalten deiner Eltern und die daraus resultierenden Auswirkungen auf deine Gefühle. Auch ich konnte mich noch rechtzeitig mit meinem Vater und seinem früheren Verhalten (Jähzorn, Schläge vers Zuwendung, Verständnis) aussöhnen, bevor er verstarb und spüre noch heute deutlich den inneren Frieden, der mich wärmt und stärkt.

    Herzliche Grüße

  2. Lieber Leo,

    wir kennen uns von MKP und vom dortigen Chat. Aber erst seit dem Lesen dieses Berichtes kann ich wirklich behaupten Dich zu kennen. Vorbildhaft, Deine schonungslose Ehrlichkeit – danke!

    Herzliche Grüße,

    Robert

  3. Die sehr persönliche Schilderung Deines Weges hat mich sehr tief berührt. Ich bin sehr beeindruckt von Deiner Offenheit, Deinem Mut und Deinem konsequenten Veränderungswillen. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg auf Deinem Weg – Du bist ein großes Vorbild.

    Herzlichst Carmen

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